Marken zwischen Theorie und Praxis

Marke People Data & Tech Lifestyle
14.03.2024

In einer Welt, die von Marktdynamik und technologischer Innovation geprägt ist, erweist sich die Fähigkeit, wissenschaftliche Erkenntnisse schnell und effektiv in die Praxis umzusetzen, als entscheidender Wettbewerbsvorteil. Das Projekt „Brückenbau Marke – Wissen(schaft) to go“, initiiert von Prof. Dr. Carsten Baumgarth und seinem B*lab-Team, hat sich genau diesem Ziel verschrieben: dem Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Praxis.

Genauer gesagt den Wissenstransfer von der Markenwissenschaft direkt in die Anwendungsfelder der Markenpraxis zu katalysieren und somit die Kluft zwischen Forschung und realer Markenarbeit zu überbrücken. In der „Brown Bag-Session Brückenbau Marke 2024“ wurden nun einige der interessantesten und am meisten aufgerufenen Episoden des Podcasts vorgestellt. Bei dem intellektuellen Picknick war die Themenpalette so vielfältig wie die Markenlandschaft selbst. Von der Rolle der Künstlichen Intelligenz als potenzieller Booster für die Markenarbeit bis hin zur Bedeutung der Markenheritage. Ein paar der eindrücklichsten Erkenntnisse und Aspekte des Workshops im Folgenden:

Dr. KI, der Arzt deines Vertrauens?

In einer der vorgestellten Studien wurden KI-generierte Antworten auf eine medizinische Frage mit denen von Ärzten verglichen. Erstaunlicherweise schnitt die KI in Aspekten wie fachlicher Qualität und Empathie besser ab. Die von ChatGPT verfassten Antworten waren nicht nur umfangreicher, sondern wurden im direkten Vergleich auch in 78,6 % der Fälle von medizinischem Fachpersonal bevorzugt. Diese Erkenntnis könnte die zukünftige Patientenkommunikation revolutionieren und zeigt das Potenzial von KI u.a. in der Gesundheitsberatung.

Versace oder Verarsche?

Ein weiterer im Workshop präsentierter Fall zeigt ebenfalls die überraschende Qualität Künstlicher Intelligenz. Die italienische Luxus-Modemarke Missoni nutzte in einem innovativen Projekt KI-gestützte Designbewertung. In einem ersten Schritt analysierte die KI den charakteristischen Stil der Marke und formulierte daraus ein Briefing für ein zukünftiges T-Shirt-Design. Auf Basis dieser Anleitung kreierten Designer neue Entwürfe, aus deren die KI wiederum zwei Exemplare auswählte. In einem anschließenden Blindtest präferierten überraschenderweise 54% der Befragten die KI-ausgewählten Designs und zeigten höhere Zahlungsbereitschaft gegenüber der Profi-Designs. Die Offenlegung des Schöpfers ließ die Präferenz auf 44% sinken. 

Auch bei der Bewertung des Markenfits der Entwürfe durch Mode-Masterstudierende schnitten die beiden KI-Designs deutlich besser ab. Das Beispiel zeigt, dass KI-Systeme nicht nur kreative Prozesse unterstützen, sondern auch eine entscheidende Rolle bei der Qualitätssicherung und Markenkonsistenz spielen können. Für Unternehmen bedeutet dies, dass KI als objektives Werkzeug zur Bewertung und Verbesserung der Arbeitsergebnisse dienen und so zur Effizienzsteigerung und Qualitätskontrolle beitragen könnte, während gleichzeitig kreative menschliche Beiträge wertgeschätzt und integriert werden.

Heee Alter, bist du überhaupt relevant?

Das Alter einer Marke als einzigartiges Verkaufsargument (USP) zu nutzen, ist eine gängige Praxis unter Traditionsmarken in verschiedenen Branchen, von Bierherstellern bis hin zu Schokoladenproduzenten. Diese Unternehmen betonen ihr Gründungsdatum, um Authentizität, Qualität und eine reiche Geschichte zu vermitteln. Im B2B-Sektor stellt sich jedoch die Frage, wie viel Wert auf das Markenalter gelegt wird und ob es in einer von modernen Technologien und disruptiven Start-ups geprägten Welt noch beeindruckt. Ist das Markenalter als USP ein Treiber oder eine Barriere?

Während Traditionsunternehmen auf ihre langjährige Erfahrung und bewährte Expertise setzen, zeichnen sich junge, innovative Firmen durch Agilität, frische Ideen und eine Vorreiterrolle in der Technologie aus. In einem solchen Umfeld könnte ein zu starkes Betonen der Vergangenheit eine Marke tatsächlich als rückwärtsgewandt erscheinen lassen und potenzielle Kunden abschrecken, die nach zukunftsorientierten Lösungen suchen.

Die Balance zu finden zwischen dem Feiern bewährter Erfolge und der Demonstration von Innovationsbereitschaft ist entscheidend. Unternehmen müssen zeigen, dass sie ihre Tradition als Fundament nutzen, um auf aktuellen Trends aufzubauen und sich an die sich schnell ändernden Marktbedingungen anzupassen. Letztlich könnte die Fähigkeit, Tradition mit Innovation zu verbinden und sich kontinuierlich weiterzuentwickeln, im B2B-Umfeld als der wahrhaftigste USP dienen. Es bleibt jedoch ein schmaler Grad, denn gerade bei innovativen Produktkategorien wie bspw. VR-Brillen oder autonomes Fahren kann die Kommunikation der Markenheritage hinderlich sein. 

Gegenstand der Studie zur Markenheritage bzw. dem Markentransferpotenzial, durchgeführt von Prof. Baumgarth, war außerdem das Verbraucherzutrauen in verschiedene Länder hinsichtlich ihrer Innovationskraft im digitalen Umfeld. Japan wird dabei bemerkenswerterweise in allen (!) abgefragten Kategorien das höchste Zutrauen entgegengebracht, ein attraktives und leistungsfähiges Angebot anzubieten. Trotz der eher klassischen Industrieausrichtung stufen die Befragten die Innovationskraft in Japan höher ein als in China oder den USA. Deutschland hingegen wird vorrangig die Kompetenz für intelligente Kühlschränke und Smart Home-Systeme zugesprochen. Indien und Estland schneiden trotz ihrer bekannten innovativen Ansätze in der Bewältigung von Verwaltungsaufgaben, erstaunlich schlecht ab. Die Ergebnisse der folgenden Matrix zeigen, dass auch (oder gerade) „traditionelle“ Industrienationen im globalen Wettbewerb Innovationskraft in digitalen Bereichen entwickeln können. Zumindest trauen es ihnen die Verbraucher zu.

Zutrauen in Länder, ein attraktives und leistungsfähiges Angebot im digitalen Umfeld anzubieten:

Marken 2024 - Baumgarths “subjektive” Prognose

Die Markenlandschaft des Jahres 2024 zeichnet sich bereits jetzt durch deutlich erkennbare Trends aus, die ihre Dynamik in den kommenden Jahren weiter entfalten werden. Zum Abschluss des Workshops hob Prof. Carsten Baumgarth deshalb nochmals fünf Entwicklungen hervor, die seiner Meinung nach als Fundament für die zukünftige Ausrichtung und Strategie von Marken relevant sein werden. Die dargelegten Punkte sind als Wegweiser für Unternehmen zu verstehen, die im Wettbewerb der Zukunft bestehen wollen:

1. KI: Vom Hype zum “New Normal”
Künstliche Intelligenz wird nicht länger als futuristische Besonderheit betrachtet, sondern wie Word und PowerPoint als Standardwerkzeug in den beruflichen Alltag integriert. Die Fähigkeit, Daten zu analysieren, aufzubereiten und in Echtzeit auf Markttrends zu reagieren, macht KI zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Markenstrategie und -entwicklung. Dies wird sich auch in der Quantität und Qualität der Marken- und Marketingjobs zeigen. Neue Skills wie Prompting gewinnen an Relevanz.

2. Techpoints erobern die Customer Journey
Die Evolution der Customer Journey durch Techpoints erfordert von Markenverantwortlichen technisches Verständnis, eine markenindividuelle Gestaltung und ein verstärktes Augenmerk auf rechtliche sowie ethische Aspekte.

3. Nachhaltigkeit: Vom Greenwashing zur Ernsthaftigkeit
Nachhaltigkeit wandelt sich von oberflächlichem Greenwashing zu ernsthafter Umsetzung. Komplexe Herausforderungen erfordern echtes Verständnis in Marketing und Kommunikation. Irreführendes Colorwashing bedroht nicht nur die Reputation, sondern wird zunehmend auch zu einem kostspieligen Risiko.

4. Out of the Box: Echte Kreativität ist wichtiger denn je
In einer Welt des "immer mehr vom Gleichen", angefacht durch Automatisierung und KI, ist echte Kreativität für die GenZ unerlässlich. Der "Medici-Effekt" zeigt: Innovationen blühen an den Schnittpunkten verschiedener Disziplinen auf. Deshalb wird die Auseinandersetzung mit anderen Feldern wie Kunst, Theater, Subkulturen, Technologie, Religion, Philosophie etc. immer wichtiger. Auch die Diversität (jenseits des Geschlechts) gewinnt an Relevanz.

5. Tech-Marken erobern weiter die Rankings und Märkte
Tech-Marken durchbrechen kontinuierlich Produkt- und Branchengrenzen, dominieren als globale Giganten wie Google die Märkte oder etablieren sich als spezialisierte Neumarken à la OpenAI. Dabei bergen sie enormes Potential für Transferleistungen und Neuerfindungen (auch deutscher) Technologiebrands.

Der Brown-Bag-Workshop von Prof. Carsten Baumgarth und die diskutierten Themen zeigen, dass sein Projekt „Brückenbau Marke – Wissen(schaft) to go“ mehr als nur eine Serie von Podcasts ist. Sein Vorhaben ist vielmehr ein Appell an Forschende und Praktiker zur unermüdlichen und aktiven Zusammenarbeit, um wissenschaftliche Erkenntnisse in die Marken-Praxis zu übertragen und zu implementieren. Darüber hinaus ist der Workshop eine Einladung an alle Markenenthusiasten, sich inspirieren zu lassen und Teil eines Dialogs zu werden, der die Zukunft des Brandings formen kann.

Autor
Constantin Schmidt
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