Die Dinge, über die wir sprechen, sind sehr, sehr einfach

Eine Unterhaltung mit Peter Pirck, geschäftsführender Gesellschafter der Brandmeyer Markenberatung, über kurzfristige Verlockungen bei strategischen Entscheidungen, vermeintliche Komplexität und darüber, was Markenbildung und Customer Experience damit zu tun haben.

Grünewald/Peter Pirck hat Soziologie studiert und anschließend in Genf fürs dort ansässige Institut für Markentechnik gearbeitet. Um dann im Jahr 2003 einer der Gründer der Brandmeyer Markenberatung zu sein. Seit über 20 Jahren ­berät er Unternehmen und Institutionen in Sachen Markenführung.

/Herr Pirck, unser B2B Magazin dreht sich um den Begriff CX, also Customer Experience. Wie verstehen Sie diesen Begriff? Was geht Ihnen als erstes durch den Kopf?

PP_ Ohne Zweifel ist Customer Experience momentan sehr en vogue.
CX selbst und alles drum herum wird hoch gehandelt. Ich finde das auch gut. Aber inhaltlich ist das ja nichts Neues. Wer sich, so wie wir, länger fundiert mit Marken beschäftigt, der kennt das schon. Marken werden immer gebildet durch das Erleben, durch Erfahrungen, die man mit der Marke sammelt. Diese Erkenntnis ist zentral. Ob man das jetzt Customer Experience, Brand Experience oder Markenerfahrung nennt, ist eigentlich nicht entscheidend. Sie haben mich ja auch ­wegen des Aufsatzes des Genfer Markeninstituts aus dem Jahr 2005 angefragt. Wie sind Sie denn auf diesen Artikel gestoßen?

/Der Aufsatz „Was Marken stark macht“ gehört seit seinem Erscheinen zu unserem Rüstzeug, zu ­unserer Grundausstattung. Wir holen ihn immer wieder raus. Weil damit unserer Meinung nach zumindest in Deutschland die Grundlage für Markenverständnis und strukturierte Markenführung gelegt wurde. Wir setzen die darin verwendeten Bilder immer wieder ein: Die Markenbildung durch die Summe der Erfahrungen, die positiven Vorurteile, das Energiesystem. Unsere häufig technisch orientierte Zielgruppe sollte sich insbesondere vom Energiesystem angesprochen fühlen. So zumindest unsere Hoffnung.

PP_ Ich hatte diesen Text offen gestanden gar nicht mehr so präsent und im Kopf. Mein Thema in Genf war eigentlich der genetische Code der Marke. Wir haben damals regelmäßig Whitepaper und Auf­sätze publiziert, um unsere Standpunkte deutlich zu machen. Ich habe den Text tatsächlich nach Jahren jetzt erst wieder gelesen und muss sagen: Er klingt sehr, sehr aktuell. Am Institut für Marken­technik in Genf trafen damals drei sehr interessante Zeitgenossen zusammen: Manfred Schmidt, technisch orientierter Top-Manager aus der Industrie, Alexander Deichsel, Professor für Soziologie an der Universität Hamburg und Begründer der Markensoziologie als dem wissenschaftlichen Fundament der Markentechnik, und Dr. Klaus Brandmeyer, der Germanistik und klassische Philologie studiert hatte, seine Doktorarbeit in Rhetorik absolviert hatte und sein Geld als Werbe­texter verdiente. Die drei haben in ihrem Markenverständnis große Gemeinsamkeiten entdeckt. Und ein paar wesentliche Grundsätze formuliert. Zum Beispiel, dass Marke sich eben nicht auf Logo, Claim oder Werbung reduzieren lässt. Vielmehr ist Marke das, was in den Köpfen der Menschen ­passiert. Die Summe aller Erfahrungen bezeichnet eigentlich das, was man heute CX nennt. Und ergibt im Ergebnis das energetische Guthaben der Marke bei den Menschen. Diesen grundsätzlichen ­Gedanken hat der Text bereits 2005 formuliert und damit den Trend CX in gewisser Weise vorweg­genommen, ohne Zweifel.

/Wenn der Gedanke schon so viele Jahre auf dem Buckel hat, warum hat er sich nicht stärker durchgesetzt? Auch und gerade bei B2B-unternehmen?

PP_ Ich glaube, dass viele B2B-Unternehmen es schlicht und einfach noch nicht nötig haben, sich intensiv mit dem Thema Marke zu beschäftigen. Die machen einfach das, was sie können: gute Leistungen ­abliefern und diese verkaufen. Das Problem ist nur: Der Wettbewerb wird immer härter, in fast allen Branchen.
Ein zweiter Punkt kommt hinzu: Bei B2C-Marken ist unumstritten, dass Marken die größten Wert­treiber sind. B2B-Unternehmen denken dagegen oft, dass Entscheidungen ausschließlich rational
getroffen werden.
Also zum Beispiel von Einkäufern, die am Ende nur auf den Preis schauen. Oder über gewachsene Beziehungen, was die Schlüsselfunktion des Vertriebs für den Unternehmens­erfolg vermeintlich untermauert. Oft wird eben gedacht, dass diese persönlichen Kontakte nichts mit Marke zu tun und eine höhere Relevanz hätten. Allerdings bin ich der Überzeugung, dass sich gerade bei B2B-Marken in den letzten Jahren sehr viel getan hat und wesentlich mehr Unternehmen mittlerweile ihre Markenbildung und ihre Markenführung auf dem Schirm haben. Es ist in den Köpfen drin. Sicher deutlich mehr als vor 15 Jahren.

/Gibt es Vorbilder, Marken, von denen sie sagen, dass dort Marke und Experience die wesentlichen Punkte in der Unternehmensführung sind?

PP_ Selbstverständlich gibt es Unternehmen, die Marke ganz gezielt und strukturiert betreiben, die ihre Markenbausteine kennen, die wissen, womit sie ihre Kunden an sich binden, und sich dement­sprechend verhalten. Aus meiner Sicht ein gutes Beispiel ist unser Kunde Festool, bei dem wir natur­gemäß etwas tiefere Einblicke haben. Bei Tischlern und Schreinern, die zu den Kernzielgruppen der Marke gehören, hat die Marke einen Ruf wie Donnerhall. Das liegt zum einen an der über Jahre gewachsenen Gewerke- und Materialkompetenz rund ums Holz. Und daran, dass die Marke die ­Sprache ihrer Anwender spricht, dass sie ein tiefes Verständnis hat für das, was die Zielgruppen tagtäglich bewegt. Und dass sie ihre Markenstärken ganz bewusst kultiviert und einsetzt.

/Gibt es Vorbilder, Marken, von denen sie sagen, dass dort Marke und Experience die wesentlichen Punkte in der Unternehmensführung sind?

PP_ Selbstverständlich gibt es Unternehmen, die Marke ganz gezielt und strukturiert betreiben, die ihre Markenbausteine kennen, die wissen, womit sie ihre Kunden an sich binden, und sich dement­sprechend verhalten. Aus meiner Sicht ein gutes Beispiel ist unser Kunde Festool, bei dem wir natur­gemäß etwas tiefere Einblicke haben. Bei Tischlern und Schreinern, die zu den Kernzielgruppen der Marke gehören, hat die Marke einen Ruf wie Donnerhall. Das liegt zum einen an der über Jahre gewachsenen Gewerke- und Materialkompetenz rund ums Holz. Und daran, dass die Marke die ­Sprache ihrer Anwender spricht, dass sie ein tiefes Verständnis hat für das, was die Zielgruppen tagtäglich bewegt. Und dass sie ihre Markenstärken ganz bewusst kultiviert und einsetzt.



Was Marken stark macht (2005)

Die wesentlichen Takeouts des Artikels

_Marke wird auf die Darstellung des Unternehmens und seiner Produkte über Zeichen (…) im Umfeld von Werbung und Kommunikation reduziert.

_In der markentechnischen Praxis hat es sich durchgängig gezeigt, dass der Markenbildungsprozess (…) über­wiegend auf der Basis tagesgeschäftlicher Aktivitäten der Unternehmen beruht.

_Entscheidend sind dabei die direkten und indirekten Erfahrungen der Kundschaft mit dem Unternehmen (Produkte, Leistungen, Verkauf etc.).

_Marken sind dynamische Energie­systeme, die aus den Leistungsträgern, den Unternehmen und den Speichern der Markenenergie, den Kunden, bestehen.

_Die Markenenergie wird gespeichert als positives Vorurteil, sozusagen das Guthaben der Marke beim Kunden. Weshalb er bevorzugt immer wieder zu dieser Marke greift. Und ihr den ein oder anderen Fehler verzeiht.

Es folgt noch ein Passus zum genetischen Code von Marken, den wir uns an dieser Stelle sparen.

/Ist das das Erfolgsrezept?

PP_ Sicher eines davon. Viele Unternehmen genießen bekanntlich einen exzellenten Ruf, ohne sich jemals Gedanken über CX gemacht zu ­haben. Das sind in der Regel lang existierende Firmen, die nur das ­machen, was sie können. Und die das dann auch noch richtig, fokussiert und einzigartig machen. Dadurch wird praktisch unbewusst eine Markenreputation aufgebaut. Aber irgendwann stehen eben strategische Entscheidungen für diese Unternehmen an. Wie geht es weiter? Wohin entwickeln wir uns in der Zukunft? Wollen wir unser Portfolio verbreitern, die Produktionskapazitäten ausbauen, die Vertriebskanäle erweitern, unsere Preispolitik ändern? Und diesen Verlockungen nachzugeben erscheint attraktiv, so attraktiv, dass man ihnen auch gerne nachgibt. Oder man geht eben den Weg der Marke. Man setzt Grenzen, man bildet Schwerpunkte, man lässt weg und bekennt sich klar und eindeutig.

/Das klingt irgendwie anstrengender.

PP_ Kurzfristig ist es vielleicht leichter, den Verführungen nachzugeben. Sie versprechen einen schnellen Erfolg. Nehmen Sie noch einmal ­Festool. Natürlich würde sich diese Marke erstmal viele Diskussionen ersparen und vieles erleichtern, wenn sie neben den Fachmärkten auch flächendeckend in die Baumärkte ginge. Aber gerade für eine derartig klar positionierte Profimarke ist das eben auch nicht ohne ­Risiko und kann zu Erosionen führen.Die Entscheidung für die Marke fühlt sich oftmals steiniger an, weil der Weg länger ist. Marke ist einfach langfristig angelegt. Aber am Ende genießt man eben auch den nachhaltigeren Erfolg. Marke erzielt bessere Preise, höhere Margen. Das ist einfach so. Die Ausstrahlungseffekte eng geführter, starker Marken werden nach wie vor gerade in B2B-Unternehmen viel zu ­wenig gesehen.

/Wie können B2B-Unternehmen, die CX bisher nicht auf dem Schirm haben, das Thema anpacken? Was raten Sie denen?

PP_ Denken Sie von der Marke aus. Und nicht einseitig von der Techno­logie, vom Produkt oder von vermeintlichen Kundenanforderungen aus Marke, CX muss ganzheitlich und strategisch angegangen und ­gedacht werden. Also: Womit können und wollen wir uns profilieren? Was wollen wir betonen? Auf welche unserer Bausteine wollen wir setzen? Das ist immer ein Blick in die Vergangenheit, kombiniert mit dem in die Zukunft. Wo kommen wir her, was traut man uns zu? ­Wohin können, wohin wollen wir uns entwickeln? Wenn man das richtig macht, entsteht eine Art Blueprint mit allen wesentlichen ­Markenbausteinen. Mit einer Projektion in die Zukunft: Was sollen die Zielgruppen über mich, über meine Marke denken?
Im nächsten Schritt geht es darum, dieses Bild erlebbar zu machen: Was bedeutet das für Entwicklung, Design, Produkte, Vertrieb, ­Services, Marketing, Kommunikation …? Dieses Runterbrechen muss man gemeinsam machen. Daraus entsteht ein Touchpoint-Management, mit dem die Marke instrumentiert, geerdet wird. Wir definieren und wissen dann, welche Brand Experiences die Zielgruppen ­machen,
was das für die einzelnen Bereiche unseres Unternehmens bedeutet und – ganz wichtig – wie wir die Schnittstellen zwischen den Bereichen aus Kundenperspektive gestalten. Machen die Kunden die ­Erfahrungen, die wir uns versprechen? Wie können wir uns weiterentwickeln? Es ist ein Prozess. Unternehmen, die sich auf diesen Weg begeben, beginnen dann Systeme auf­zubauen, die immer wieder den Blueprint der Marke zur Hand nehmen, das Ganze mit Touchpoint-­Management, Markenerfahrungen und den einzelnen Bereichen abgleichen und kontinuierlich weiter­entwickeln.

/Das klingt schon irgendwie aufwändig …

PP_ Ist es aber nicht. Es kostet nicht mehr Geld. Es entstehen in der Regel keine zusätzlichen Aufwendungen, weitere Maßnahmen. Vielmehr werden singuläre Erfahrungen, die bisher vielleicht o. k. waren, mit der Marken- und CX-Denke orchestriert. Und damit wirkungsvoller.

/Wer stößt sowas im Unternehmen an?

PP_ Das ganz eindeutig ein Top-down-Prozess. Das muss von der Führung gewollt sein, schließlich hat es weitreichende strategische Auswirkungen. Der Treiber ist aber das Marketing. Das Marketing könnte auch die Plattform organisieren, auf der der Austausch unter den Bereichen stattfindet. Um Kompetenzgerangel, Stellvertreterkonflikte, Eifersüchteleien zu vermeiden, ist es meines Erachtens wichtig, sich auf Augenhöhe zu begegnen. Also man akzeptiert die Kompetenz der anderen und stellt sie nicht in Frage. Die Entwicklung weiß am besten, wie Entwicklung geht. Der Vertrieb weiß am besten, wie Vertrieb geht. Und das nutzt man für ein orchestriertes Miteinander. Auf der Basis des ganzheit­lichen Denkansatzes, des Blueprints für die Marke.

/Wenn man Ihnen so zuhört, kommt man zwangsläufig zu der Frage, ob Customer Experience nicht besser Brand Experience heißen sollte.

PP_ Ich mag es gerne auf Deutsch: Markenerlebnis. Und ich finde die Perspektive aus der Marke besser. Weil es um die Gesamtheit der Erfahrungen geht, an allen Markenkontaktpunkten. Also um die komplette – Achtung, Buzzword! – Customer Journey. Die Zielgruppe soll ja nicht irgendein Erlebnis haben, sondern ein Markenerlebnis. Also wie bereits gesagt, das, was ich mir für meine Marke vorgenommen und beschrieben habe. Daraus entsteht ein Markenbild, das ist der Prozess der Markenbildung.
Also ich teile die Meinung, dass Brand Experience der interessantere Begriff ist. Wie sprechen nicht von Kundenerlebnissen mit Marken, sondern von Markenerlebnissen für Kunden. Egal wie: Am Ende ist es eine beinharte Strategie, ein Agendasetting für die Marke, das es konsequent zu befolgen gilt.

/Ist CX am Ende also nur eine Modeerscheinung?

PP_ „Wissen Sie, ich finde, die Dinge, über die wir sprechen, sind sehr, sehr einfach. Das ist eigentlich gesunder Menschenverstand pur. Deshalb sucht man sich ab und zu mal gerne schillernde Begriffe, die vielleicht neue Aspekte oder andere Inhalte versprechen. Aus meiner Sicht muss das nicht sein“.


Man spricht auch in der Markenwelt gerne deutsch. Ein schönes Schlusswort.
Herr Pirck, herzlichen Dank für diese spannende Unterhaltung.

INTERVIEW / Jörg Dambacher