Fluide Employer-Branding-Strategien am Beispiel Bundeswehr

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08.12.2022

Purpose-Wandel in Krisenzeiten

Mehr als vorherige Generationen sind Berufseinsteiger und junge Erwachsene der Generationen Y und Z auf der Suche nach einem sinnstiftenden Arbeitgeber mit einem gemeinsamen Ziel und einer klaren Vision. Dass dieser Purpose nicht immer statisch sein muss, sondern äußeren Einflüssen unterliegt, zeigt das Beispiel Arbeitgeber-Kommunikation der Bundeswehr.

Seit 2011 die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, ist die Bundeswehr stark auf der Suche nach Personal. 2016 war es dann schließlich so weit, dass man sich mal wieder zu einer großen Kampagne durchringen konnte – dieses Mal schon mit dem Fokus auf jugendaffine Kanäle.

2016 – Die Rekruten

2016 erklärte sich die Bundeswehr in Zusammenarbeit mit der Düsseldorfer Agentur Castenow Communications dazu bereit, die zwölfwöchige Grundausbildung unter dem Titel „Die Rekruten“ dokumentarisch begleiten zu lassen. Der anzunehmende Purpose war vermutlich: Wer das hier schafft, hat viel durchgemacht und Eier bewiesen. Also noch nicht ganz so hoch gehängt; eher aus einer Individualperspektive als aus einer gesellschaftlichen Relevanz heraus argumentiert. Die Serie verzeichnete bereits nach wenigen Wochen knapp 40 Millionen Aufrufe auf YouTube und den Gewinn zahlreicher Preise, darunter den ersten GWA Effie Grand Prix. Das lag sicher auch daran, dass die Serie für die medienaffine Zielgruppe sehr unterhaltsam gemacht war: Im Stil eines typischen YouTube-Vlogs berichteten die Rekrut:innen authentisch von ihren Erlebnissen und boten spannende Einblicke, in denen Disziplin gefordert und Grenzen getestet wurden. Die Wackelkamera und die vielen Schnitte ließen die oft nur fünfminütigen Episoden dynamisch wirken, die Musik baute Spannung auf und brach sie in humorvollen Momenten – ganz den Sehgewohnheiten der jungen Zielgruppe entsprechend.

Mit dem Erfolg diente die Serie außerdem als Wegbereiter für zusätzliche Webserien, die weitere Einblicke in die verschiedenen Tätigkeitsfelder des Soldatenberufs bieten. Alle Produktionen sind dabei auch nach der Ausstrahlung dauerhaft verfügbar: Der eigens für Webserien eingerichtete YouTube-Kanal „Bundeswehr Exclusive“ verzeichnet so bisher über eine halbe Million Abonnenten und mehr als 183 Millionen Aufrufe.

Quelle: YouTube

Was passierte dann?

Im Gegensatz zu heute sah die Welt zum Zeitpunkt von „Die Rekruten“ im Jahr 2016 für zahlreiche junge Menschen noch anders aus. Freiheit und Sicherheit waren selbstverständlich, man wollte noch raus aus der Komfortzone und rein in die große unbekannte Welt. Mit „Die Rekruten“ gelang es der Bundeswehr, diese Abenteuerlust und den Wunsch der jungen Zielgruppe, sich selbst zu beweisen, anzusprechen. Was dann in der Welt passierte, wissen wir alle: Nur wenige Jahre später trübte sich die Lust auf Abenteuer erst einmal ein: Zunächst bestimmten die Maßnahmen im Rahmen der 2020 erstmals auftretenden Corona-Pandemie den Alltag. Und dann kamen 2022 auch noch die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs hinzu. Zahlreiche soziokulturelle Faktoren wie der Lebensstil, Wertvorstellungen und das Sicherheitsgefühl vieler junger Menschen veränderten sich: Grundmotivationen wie die nach Freiheit und Abenteuer erfuhren einen konservativen Rückwärtsdrall: Unsicherheiten und Zukunftsängste machten sich unter der potenziellen Bundeswehr-Zielgruppe ebenso breit wie in der Mitte der Gesellschaft. Dafür rückten Einstellungen wie „Verantwortung für sich und die Gesellschaft übernehmen“ und „schützen, was wichtig ist“ aufgrund der plötzlich realen Bedrohung von außen stärker in den Vordergrund. Die Prioritäten vieler junger Menschen verschoben sich und „Die Rekruten“ wirkte nur sechs Jahre nach der Ausstrahlung nicht mehr ganz zeitgemäß.

Kommunikative Zeitenwende mit neuem Purpose

Mit der akuten Bedrohung durch Russland rückte die Bundeswehr ihren ursprünglichen Kernauftrag aus der Zeit des Kalten Krieges wieder in den Mittelpunkt: die Verteidigung Deutschlands und seiner Bündnispartner. Nachdem sie jahrzehntelang vor allem als Einsatzarmee zur internationalen Friedenssicherung, Konfliktbewältigung und Krisenvorsorge sowie als Pandemie- und Fluthelfer gesehen wurde, änderte sich nun die Rolle schlagartig. Der eigentlich überholt geglaubte Purpose wurde wieder Teil der Identität der Bundeswehr und zu einem Hauptelement der neuen Kommunikationsstrategie.

Wir schützen Deutschland

Den benötigten personellen Zuwachs erhofft sich die Bundeswehr nun durch die 2022 gestartete crossmediale Imagekampagne „Wir schützen Deutschland“, die ebenfalls in Zusammenarbeit mit der Leadagentur Castenow Communications entstand. Mit dem Ziel, die Bundeswehr als Verteidiger der Freiheit und Sicherheit zu positionieren und dadurch neues Personal zu rekrutieren, wirbt die Bundeswehr mit der aus ihrer Sicht neugewonnenen beruflichen und gesellschaftlichen Relevanz erstmals seit 2016 wieder im Fernsehen. Auch zahlreiche andere Medien werden mit dem Ziel genutzt, in der Zielgruppe der 17- bis 35-Jährigen insgesamt über 500 Millionen Kontakte zu erreichen: Im Webserien-Kanal „Bundeswehr Exclusive“ wird mit einem Spot geworben, der vermitteln soll, dass Freiheit und Sicherheit in Deutschland nicht als selbstverständlich zu betrachten sind und dass wir die Bundeswehr brauchen, um sie zu schützen. Das Purpose-Design lautet nun: Weil die Bundeswehr wichtig ist, bist du als ein Teil von ihr ebenso wichtig. Im Sommer 2022 startete die Webserie „Semper Talis“, die die Protokollausbildung beim Wachbataillon zum Inhalt hat. Der Tenor hier: Das ist das Aushängeschild der deutschen Streitkräfte, hier wird die Bundesrepublik Deutschland mit all ihren Werten repräsentiert. Es gibt auch hier viele dokumentarische Momentaufnahmen aus der Praxis – im Vergleich zu „Die Rekruten“ schwingt der höhere Purpose „Hüter:in demokratischer Werte“ aber immer mit.

Was lernen wir daraus?

Der Purpose von Unternehmen und Institutionen ändert sich am schnellsten durch äußere Einflüsse. Kein Strategiewechsel und keine Informationskampagne kann so stark wirken wie dramatische Ereignisse, die den wahren Purpose plötzlich unmittelbar in den Mittelpunkt rücken können. Der
Fall der Bundeswehr zeigt dies recht deutlich – aber auch die Rüstungsindustrie erfährt plötzlich
eine ungeahnte Purpose-Neuausrichtung. Das führte unter anderem auch dazu, dass Unternehmens- und Verbandsvertreter nun darauf insistieren, von der EU-Kommission durch ihren Beitrag zur gesellschaftlichen Stabilität als nachhaltig eingestuft zu werden. Wir sind weiterhin gespannt, welche politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in Zukunft die Purpose-Landschaft unserer Unternehmen beeinflussen werden.

Autor
LOUIS BAUR

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