Mobile Lifestyle: Auf zu neuen Ufern

Marke People Data & Tech Lifestyle
11.09.2018

Vor mir liegen nur noch wenige Meter. Die schwarze Reisetasche über der Schulter, die braune Ledertasche mit zwei Laptops in der Hand, schlängele ich mich an einem Donnerstagabend um 22:33 Uhr durch den Düsseldorfer Bahnhof. Vorbei an orientierungslosen Auswärtigen, angetrunkenen Heiratswilligen, die Junggesellenabschied feiern, und den anderen üblichen Verdächtigen. Der ICE 517 „Münsterland“ hat mich auf Gleis 17 ausgespuckt. Bedeutet: Ich muss runter ins Erdgeschoss, vom Ende des Bahnhofs nach vorn zum Eingang, über den Vorplatz, bis ich endlich die Bushaltestelle erreiche. Schließlich stehe ich auf dem Bahnhofsvorplatz. In der Ferne sehe ich Bus 834, der gerade anfängt leicht zu zittern. Der Fahrer hat den Motor gestartet. Er setzt den Blinker. Fährt los. Ich stehe da. 120 Sekunden haben darüber entschieden, ob ich 20 Minuten früher oder später nach Hause komme. Zwei Minuten, die der ICE 517 von Stuttgart nach Düsseldorf auf dem letzten Teilstück kurz hinter Köln verlor. Warum bin ich überhaupt unterwegs? Seit Januar 2018 arbeite ich bei RTS Rieger Team. Zwei Tage die Woche im Düsseldorfer Büro. Drei in Musberg. Beide Standorte verbunden durch S-Bahn, Zug, Bus. Zwischen Rhein und Neckar bleibt die Bahn, trotz Pannen und Verspätungen, im Vergleich zum Auto zeitlich unschlagbar. Durch einen spannenden Auftrag kam ein weiteres Reiseziel dazu: Herzogenaurach. Und aus privaten Gründen außerdem 14-tägige Flüge übers Wochenende nach Barcelona. Aber der Reihe nach.

Die Lässigkeit der Automatik

Es gibt Tage, da fühle ich mich wie Hans Schnier. Der Protagonist in Heinrich Bölls „Ansichten eines Clowns“ reist fünf Jahre mit der Bahn durch Deutschland und bewegt sich routiniert durch die immer gleichen Bahnhöfe: „Bahnsteigtreppe runter, Bahnsteigtreppe rauf, Reisetasche abstellen, Fahrkarte aus der Manteltasche ziehen, Reisetasche nehmen, Fahrkarte abgeben, zum Zeitungsstand, Abendzeitungen kaufen, nach draußen gehen, Taxi heranwinken.“ Nun muss ich keine Fahrkarten mehr abgeben, kaufe keine Abendzeitungen und winke keine Taxis heran. Aber ein Satz von Hans Schnier beschreibt einen Zustand, der mir sehr bekannt vorkommt: „In einer Ecke meines Bewusstseins genoss ich die exakt einstudierte Lässigkeit dieser Automatik.“

Mit eben dieser Automatik laufen meine Reisen ab: Ich weiß genau, wo ich auf dem Bahnsteig stehen muss, um die Tür des ICEs vor mir zu haben. Ich nehme keine Züge, bei denen in der Bahn-App schon angemerkt wird, dass das WLAN nicht funktioniert. Ich ignoriere die zwielichtigen Typen, die in Stuttgart immer auf dem Weg zur S-Bahn in der Unterführung lungern. Ich kenne die Bahnhöfe in Köln-Deutz, Mannheim, Frankfurt Flughafen, Stuttgart, Nürnberg, Düsseldorf; ich schaue bei den vielen Liebesschlössern an den Kölner Rheinbrücken nicht mehr auf und nehme es hin, dass ich in Stuttgart durch die Arbeiten an „Stuttgart 21“ gefühlt schon in Bad Cannstatt aussteige, um dann noch kilometerweit zu laufen, bis ich endlich im Hauptgebäude angelangt bin. Ausgestattet mit iPhone, MacBook Air, Marshal-Kopfhörern, Eastpak-Reisetasche, schwarz und aus Kunststoff, und Computertasche, braun und aus Leder, sieht eine typische Arbeitswoche für mich etwa so aus: Montagfrüh in Düsseldorf, mit dem Fahrrad über die Rheinbrücke ins Büro. 8:30 Uhr erstes Meeting mit den Kollegen in Musberg. Kapazitätsplanung übers Telefon. Gleich anschließend eine weitere Telefonkonferenz zum Kundenstatus. Der Austausch über Projekte findet per Mail, Skype-Chat und das Co-Working-Programm Filestage statt, Dokumente werden über Slingshot geteilt. Nicht überraschend: Ein Telefonat hilft oft schneller weiter, als sich Mails hin- und herzuschicken. Abends Abfahrt nach Stuttgart: 19:27 Uhr, ICE 615, Gangplatz. Wenn es gut läuft, bin ich in 2:41 Stunden in Stuttgart. Vom Hauptbahnhof geht’s mit der S-Bahn nach Leinfelden-Echterdingen weiter, plus 30 Minuten. Dort nehme ich mein Fahrrad (erstanden über ebay Kleinanzeigen, Gegenteil von stylish, aber es bringt mich ans Ziel) und fahre nach Musberg; oder ich gehe zu Fuß, das sind nochmal gut 20 Minuten. Die drei Tage in der Agentur prägen dann der intensive Austausch im Team, Texte schreiben und Besprechungen mit den Textkollegen, Brainstormings mit den Art Directoren etc. Wenn vor Ort Arbeit in Herzogenaurach beim Kunden ansteht, geht es dienstags ins Frankenland. Dann heißt es morgens für zweieinhalb Stunden mit dem Auto über die A 81, A 3 und wie die Autobahnen alle heißen, Arbeit vor Ort, Übernachtung im Hotel, Mittwochabend zurück nach Musberg. Und Donnerstagabend wieder nach Düsseldorf: 19:51 Uhr, ICE 617, Gangplatz.

Routine schafft Raum für neues

Was sich vielleicht wie ein stressvoller Job liest, ist es für mich nicht. Meine Kinder leben in Barcelona. Seit 13 Jahren fliege ich alle 14 Tage in die katalanische Metropole. Freitagnachmittag hin und Sonntag oder Montag zurück. Auch beim Fliegen habe ich eine Routine entwickelt und mir Rituale angewöhnt, die ich jetzt aufs Bahnfahren übertrage. Dazu gehören die Tüte Edel-Nuss-Mischung, das Wasser mit Zitrone-Ingwer- Geschmack, Ritter Sport Schokolade (Alpenmilch). Dazu zählen auch die Gangplätze, die ich sowohl im Flugzeug als auch im Zug bevorzuge; die einstudierten Wege an Flughäfen und Bahnhöfen, die Zeit sparen und von denen ich, zeichnete man sie nach, keinen Zentimeter abweiche; dieselben Reisetaschen mit demselben Inhalt, darunter Ladekabel, Zahnbürste und Aspirin. Gewohnheiten erleichtern das Pendeln. Sie geben mir damit den Raum, mich immer wieder auf neue Menschen, neue Situationen und neue Aufgaben einzulassen. Eine verständnisvolle Partnerin – meine Freundin pendelt oft selbst zwischen Düsseldorf, Berlin und Stuttgart – hilft natürlich auch. Ich stelle fest, dass mich dieses Unterwegssein, dieser Austausch mit Teams und Kunden an verschiedenen Orten vor allem inspiriert und empfänglich macht für Neues. Es hilft, im Kopf beweglich zu bleiben. Schwieriger ist es, Freunde regelmäßig zu sehen. Denn Pendeln bedeutet auch, dass man eben nicht um 19 Uhr zuhause ist. Donnerstags bin ich, Verspätungen ausgenommen, meist gegen 23 Uhr zuhause – zu spät, um noch Freunde zu treffen. Montags endet der Arbeitstag nicht nach einem Acht-Stunden-Tag, sondern wenn ich schließlich in meinem Apartment in Musberg bin. Ziehe ich nach mehr als einem halben Jahr Pendeln ein Fazit, dann fällt das durchweg positiv aus. Arbeiten unterwegs inspiriert. Und die Bahn ist besser als ihr Ruf. Vielleicht steckt in uns ja doch noch das Gen unserer Vorfahren, die als Nomaden umherzogen. Fremd ist mir dieses Unterwegssein jedenfalls nicht. Im Gegenteil: Es gefällt mir immer mehr.

Autor
Jörg Bredendieck

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