Hauptsache effektiv. Ein Hoch auf die Disruption

Marke People Data & Tech Lifestyle
26.04.2018

Wirklich effektiv in Szene gesetzt hat man sich, wenn man ins kollektive Gedächtnis eingegangen ist und dort selbst Generationen später noch die Synapsen zum Tanzen bringt. Und das erreicht man nicht, indem man mit dem Mainstream schwimmt. Eine kleine Hommage an disruptive Gestalten.

Eine blonde Schönheit im weißen Cocktailkleid steht auf dem Gitter eines U-Bahn-Schachts, als plötzlich ein Windstoß den Stoff nach oben bläst und für einen kurzen, erotischen Moment den Blick auf ihre nackten Beine freigibt. Selbst wer den Hollywood-Streifen „Das verflixte 7. Jahr“ von 1955 nie gesehen hat, kennt die ikonische Szene mit der Monroe. Ein cineastischer Effekt, der sich in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt hat und der damals Blaupause für so manchen feuchten Männertraum war. Bis heute arbeitet die amerikanische Traumfabrik mit solchen Effekten und in Zeiten der Digitalisierung scheinen die Möglichkeiten auch auf diesem Feld unbegrenzt. Aber nur wenige haben das Zeug, in die Hall of Fame der filmischen Geniestreiche aufgenommen zu werden. Die Duschszene aus „Psycho“ vielleicht oder der Badewannen- Schocker aus dem Film „Eine verhängnisvolle Affäre“ mit Glenn Close und Michael Douglas. Dem geneigten Leser mögen noch ein paar mehr in die Hirnwindungen einschießen. Es scheint aber so, dass es nicht unbedingt technische Effekte sind, die uns in Erinnerung bleiben, als vielmehr solche, in denen Menschen aus Fleisch und Blut eine Rolle spielen.Effekte, die Gefühle wie Angst, Schrecken oder Leidenschaft in uns auslösen.

Stil-Ikonen und andere Scheinheilige

Auch viele Kulturschaffende haben mit Effekten gearbeitet, um sich von andern abzuheben, sich einzigartig zu machen. Sie wurden zu Stil-Ikonen. Sei es durch ihr Outfit (Audrey Hepburn, Coco Chanel), ihre Haare (Marilyn Monroe, Amy Winehouse) oder ihre Figur (Twiggy oder die groß-artig verstörende Kate Moss). Letztere löste in den 90er Jahren als Role Model des Heroin-Chic Reaktionen aus, die von Vergötterung über Kopfschütteln bis hin zu Entsetzen reichten, indem sie sich bis aufs Skelett runterhungerte und in ihrem bleichen Gesicht schwarze Augenringe zur Schau stellte, die der Kriegsbemalung einer Amazone zur Ehre gereichten. Mit ihrer Punk-Attitüde und ihrer öffentlich zelebrierten Drogensucht zeigte sie langweiligen Mainstream-Models wie Claudia Schiffer und Cindy Crawford den Mittelfinger. Leider eroberten danach deren nicht minder sedierende Enkelinnen vom Schlage einer Heidi Klum oder einer Gisele Bündchen die Catwalks, ohne nachhaltige Wirkung zu hinterlassen (subjektive Meinung des Autors). Ist aber auch Wumpe. Denn in Zeiten von Instagram kann jede (und jeder) das Wohnzimmer zum Laufsteg machen. Und wenn die Neugier genügend Follower eingesammelt hat, wird sie oder er selbst zum Verführer, auf Neudeutsch Influencer.

Götter des Gemetzels

Ach ja, Drogen. Auch die lösen natürlich Effekte aus. Nicht nur bei dem, der sie sich einverleibt, sondern auch bei denen, die den Konsumenten dabei beobachten – insbesondere dann, wenn es sich um prominente Vertreter dieser Spezies handelt. Die Geschichte der Rock- und Popmusik kann ein Lied davon singen. Jimi Hendrix, der Gott des E-Gitarren-Gemetzels, goss aus Ver-zückung über sein eigenes Genie auf offener Bühne Benzin auf sein Instrument und fackelt es ab. Schock-Rocker Alice Cooper biss angeblich in seinen Life-Shows Hühnern den Kopf ab. Und Iggy Pop (ein Wegbereiter der Punk-Bewegung) verzierte seinen nackten Oberkörper mit einer Rasierklinge, während tausende ihm dabei zuschauten. Beeindruckende Effekte allesamt.

Effekt-Hascher und Sex-Proleten

Bewegen wir uns in der Musikgeschichte ein wenig voran, in die Hinterhöfe der Bronx, begegnen wir einer anderen Spezies von Effekt-Haschern: den Rappern und Hip-Hoppern. Sie kreieren mit ihrem Ghetto-Sprechgesang nicht nur ein völlig neues Musikgenre, sondern brechen auch mit Tabus, die bis dato höchstens hinter vorgehaltener Hand angetastet wurden. Die obszöne Zurschaustellung von Reichtum, die Herabwürdigung von Schwulen und Lesben, die sexistische Macht-Demonstration gegenüber dem anderen Geschlecht. Gangster-Rapper verbreiten ein Frauenbild, das die aktuelle #metoo-Debatte daherkommen lässt wie einen Roman von Rosamunde Pilcher. Und sie kreieren eine neue Moderichtung, die sich bald auch in den Kinderstuben von Schwabing und Grunewald breitmacht und damit massentauglich wird. Zur Schau gestellt werden massive Goldketten, blinkende Gürtelschnallen und aufgepimpte Corvettes, deren 22-Zoll-Chromfelgen gerne auch mal echte Brillis zieren.

Asche zu Asche

Um mal ein aktuelleres Beispiel heranzuziehen: Der Band Rammstein dürften die Hendrix’schen Zündeleien aus den 60er Jahren nur ein müdes Arschrunzeln entlocken. Denn bei ihren Shows fahren sie Flammenwerfer auf, so groß, dass sie den städtischen Brandschutzbeauftragten landauf, landab regelmäßig den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Okay, liebe Millennials, falls euch das alles zu brutal war: Es gibt natürlich auch in eurer Generation Stil-Ikonen wie Katy Perry, Miley Cyrus, Rihanna oder deren germanisch-kaukasische Cousine, Helene Fischer, die Königin der Bierzelte, Skihütten und Dorf- Discos. Durchaus talentierte Hupfdohlen und Singdrosseln, die aber in ihrem auf die Spitze getriebenen Perfektionismus total aseptisch daherkommen. Wie soll man auch unter dem Einfluss von veganem Futter und stillem Bio-Wasser von den Fidschi-Inseln disruptive Effekte kreieren? Aber das ist eine Frage, die ich in meinem nächsten Tutorium abhandeln werde – Arbeitstitel: Selters, Spacks & Babydolls.

Bum-Bum-Boris und Salto Miro

Wenden wir uns abschließend noch einem anderen Feld zu, in dem Effekte eine nicht minder große Rolle spielen: der Medizin oder, wie es früher hieß, dem Sport. Auch der hat zahlreiche Ikonen hervorgebracht. Beginnen wir mit einem aktuellen Beispiel: Welcher Fußballstar fällt Ihnen ein, wenn Sie die Stichworte „Irokesenschnitt“, „Tattoos“ und „Leder-hosen“ lesen? Genau, Arturo Vidal heißt der Ballkünstler, der aktuell bei den Bayern spielt. An den Stammtischen der
Nation löst er unterschiedliche Reaktionen (Effekte) aus, die von „Aber kicken kann er“ bis „Der gehört doch weggesperrt“ reichen. Mit solch spektakulären äußeren Merkmalen konnte (oder wollte) der langjährige deutsche Nationalstürmer Miroslav Klose nicht aufwarten, weshalb er (neben dem Tore- schießen) mit einem anderen Effekt Wirkung erzielte: Nach jedem erfolgreichen Abschluss absolvierte er aus dem Stand einen Salto. Oder „unser Boris“, nicht gerade der hellste Strahler auf dem Centercourt, aber einer der effektivsten Tennisspieler ever – und eine Type. Bekannt unter anderem für seinen spektakulären Becker-Hecht, dessen Folgen ihm heute das Leben zur Qual machen – auch so ein Effekt.
 

Tja, welche Erkenntnis ziehen wir jetzt eigentlich aus diesen Ergüssen? Vielleicht diese: Wirklich Wirkung erzielt man nicht mit Mainstream, sondern mit Disruption vulgo Verstörung.

Autor
EKKEHARD HAUG

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