Im Gespräch mit
Dr. Christoph Schleer

Marke People Data & Tech Lifestyle
08.12.2022

Der Wunsch, in der Mitte der Gesellschaft anzukommen.

Dr. Christoph Schleer ist Mitautor der kürzlich erschienenen SINUS-Studie „Berufsorientierung Jugendlicher in Deutschland – Erwartungen, Sorgen und Bedarfe“. Und damit der ideale Ansprechpartner, wenn es darum geht, mehr darüber wissen zu wollen, wie Jugendliche, junge Erwachsene und Berufsanfänger eigentlich zur Jahreswende 2022/23 ticken. Ganz besonders in Zeiten von Corona, Klimawandel und Krieg ist das eine berechtigte Frage. Zudem verrät er uns, was das für die Personalgewinnung und das Employer Branding von Unternehmen bedeutet, und gibt dazu noch konkrete praktische Tipps.

DR. CHRISTOPH SCHLEER

ist seit knapp einem Jahrzehnt bei SINUS tätig. Momentan in der Position als Associate Director Research & Consulting. Einer seiner Arbeitsschwerpunkte ist Personal- und Nachwuchsmarketing.

Hallo Herr Schleer. Wie geht es Jugendlichen und jungen Erwachsenen Ende des Jahres 2022?

KH

Dass aktuell unter Jugendlichen keine Zukunftseuphorie herrscht, versteht sich von selbst. Angesichts der weltweiten Herausforderungen zeigt sich die junge Generation ernst und problembewusst. Corona, Klimawandel und Krieg – all das beunruhigt natürlich die jungen Menschen. Viele fühlen sich machtlos, teilweise werden konkrete Ängste geäußert. Andere behelfen sich mit einem gewissen Bewältigungsoptimismus – nach dem Motto: „Das wird schon alles werden.“

CS

Hat das auch Auswirkungen darauf, wie sie das Thema „Beruf und Arbeit“ sehen? Inwiefern fühlen sie sich auf ihre berufliche Zukunft vorbereitet?

KH

Auf ihre berufliche Zukunft sehen sich die Jugendlichen eher gut als schlecht vorbereitet. Dennoch sind nur wenige davon überzeugt, wirklich bereit für das Arbeitsleben zu sein. Mit allzu optimistischen Äußerungen halten sich die meisten eher zurück.

CS

Woran kann das liegen?

KH

Der Übergang in das Berufsleben ist auch in „ruhigeren“ Zeiten oft mit Unsicherheiten und Bedenken verbunden. So fühlen sich viele Jugendliche im beruflichen Multioptions-Dschungel überfordert. Man fragt sich, was man kann und will und was zu einem passt. Oft bestehen auch Zweifel, ob der Beruf, für den man sich interessiert, auch noch Jahre später das Richtige sein wird. Darüber hinaus befürchten viele eine „Jeder-für-sich-Mentalität“ in der Arbeitswelt: Nach aktuellen Zahlen glauben zwei Drittel, im Unternehmen achte jeder nur auf sich selbst, und neun von zehn Jugendlichen wünschen sich mehr Fairness in der Arbeitswelt. Diese Sorgen sollten zwar nicht überbewertet werden, denn ein gewisser Respekt vor dem Übergang in den Beruf ist völlig normal, dennoch sind sie ernst zu nehmen.

CS

Da gibt es sicher große Unterschiede je nach Bildung, sozialer Stellung und Geschlecht. Wie sehen die aus?

KH

Junge Frauen machen sich häufiger Sorgen als junge Männer. Am wenigsten zuversichtlich sind aber Jugendliche aus bildungsfernen Lebenswelten. Unter ihnen befürchtet jeder Zweite, einmal arbeitslos zu werden. Außerdem äußern sie oft Zweifel daran, den Anforderungen der Berufswelt gewachsen zu sein.

CS

Unternehmen müssen vor allen Dingen am Ball bleiben.

Man weiß, dass die Generation Z eigene Vorstellungen davon hat, wie sie ihr Arbeitsleben gestalten will. Welche Bedeutung hat für sie der klassische Begriff der „Karriere“ noch?

KH

Bei den meisten Jugendlichen dominiert der Wunsch, in der Mitte der Gesellschaft anzukommen. Es geht ihnen immer weniger darum, um jeden Preis Karriere zu machen. Sicherheit, Zeit für sich selbst und eine Arbeit, die Spaß macht, sind meist wichtigere Kriterien als Status und Erfolg.

CS

Gibt es eigentlich konkrete Auswirkungen von Corona, Klimawandel und Krieg auf die Zukunftsträume und die Berufspläne von Berufsanfängern?

KH

In unserer Untersuchung meinte jeder Dritte, aktuell bringe es wenig, sich berufliche Ziele zu setzen, weil heute alles so unsicher ist. Weiterhin betrachten fast 40 % die Krisensicherheit des Berufs als besonders wichtiges Berufskriterium. Insgesamt lässt sich sagen: Der Ernst der aktuellen Lage und die Unübersichtlichkeit der Verhältnisse in der Welt verstärken die Sehnsucht nach Zugehörigkeit, Halt und Orientierung. Viele haben Angst vor zunehmender Polarisierung, Hass und Aggression.

CS

Nach welchen Kriterien suchen sich heute Berufsanfänger und junge Erwachsene Ihren Arbeitgeber aus?

KH

Jobsicherheit und ein gutes Arbeitsklima sind die Haupterwartungen an Unternehmen. Besonders wichtig ist den Jugendlichen auch die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Natürlich spielt auch das Gehalt eine wichtige Rolle. Aber: Den meisten ist eine sichere Anstellung und ein gutes Verhältnis zu Mitarbeiter*innen und Vorgesetzten wichtiger als eine steile Karriere.

CS

Wie sehr beeinflusst der Klimawandel bzw. die Klimakrise das Denken und Handeln von Jugendlichen in Bezug auf die Wahl des Arbeitgebers? Wie sind da die Erwartungen an den Arbeitgeber?

KH

Die Sorgen um die Folgen der Klimakrise beeinflussen auch die Wahl des Arbeitgebers. Das trifft zwar nicht auf alle Jugendliche zu. Aus Unternehmensbefragungen wissen wir aber, dass Arbeitgeber immer häufiger mit kritischen Nachfragen konfrontiert werden. Vor allem junge Frauen und Jugendliche mit hoher Formalbildung achten zunehmend darauf, wie Unternehmen mit den Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit umgehen.

CS

Was müssen Unternehmen demnach beachten, um für Berufsanfänger und junge Erwachsene attraktiv zu sein?

KH

Vor allen Dingen müssen sie am Ball bleiben. Ändern sich die Zukunftsvorstellungen, die Lebensziele, die (beruflichen) Werte und die unternehmensbezogenen Erwartungen der Berufsanfänger, braucht es Antworten darauf. Zu wissen, wie junge Menschen ticken, was ihnen wichtig ist und wie sie bewegt werden können, ist die Voraussetzung einer erfolgreichen Personalgewinnung.

CS

Jobsicherheit und ein gutes Arbeitsklima sind die Haupterwartungen an Unternehmen.

Im Vergleich zu früheren Zeiten ist es heute deutlich schwieriger geworden, den beruflichen Nachwuchs für sich zu begeistern. Was raten Sie Unternehmen noch, um sich am Arbeitsmarkt zukunftsfähig zu positionieren?

KH

Je schwieriger es wird, passende Bewerber zu finden, desto wichtiger wird die Zielgruppenorientierung. Damit Nachwuchsmarketing erfolgreich sein kann, gilt es, sich genau zu überlegen, welche Zielgruppen zum Unternehmen und den vakanten Positionen passen. Sind es die überragend zuverlässigen, die außergewöhnlich leistungsfähigen oder die besonders kreativen Talente, die man gewinnen und binden will?

CS

Was bedeutet das für die HR-Kommunikation?

KH

Unterschiedliche Zielgruppen müssen unterschiedlich angesprochen werden. Das betrifft die Inhalte, aber auch die Kanäle sowie die Wort- und Bildsprache bspw. in Stellenanzeigen. Ohne eine Anpassung der Kommunikation an die umworbene Zielgruppe läuft das Nachwuchsmarketing ins Leere.

CS

Eine Frage noch: Wie bewerten Sie die zunehmende Digitalisierung des Nachwuchs- und Personalmarketings?

KH

Wenn es darum geht, Aufmerksamkeit und Interesse zu wecken, werden webbasierte Instrumente immer wichtiger. Dennoch sollte weiterhin vor allem auf die persönliche Begegnung gesetzt werden, denn die berufliche Orientierung spielt sich für die meisten Jugendlichen vorrangig offline ab. In Untersuchungen betonen junge Menschen immer wieder die große Bedeutung von persönlichen Gesprächen. Es sind vor allem Praktika, Berufsmessen, Betriebsbesichtigungen oder Unternehmensbesuche in der Schule, die sie bei der Wahl von Beruf und Unternehmen weiterbringen.

CS

Herr Schleer, vielen Dank für das Gespräch.

Autor
Kai Hafner

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