Insights und B2B. Wir sind der Cursor im digitalen Raum

Peter Wippermann

Jahrgang 1949, ist Gründer der Trendforschungsagentur Trendbüro, eines Beratungsunternehmens für gesellschaftlichen Wandel. Nach seiner Lehre zum Schriftsetzer im Grafik-Design-Studio seines Vaters arbeitete Wippermann zunächst als Art Director beim Rowohlt-Verlag und beim ZEITmagazin. 1988 gründete er gemeinsam mit Jürgen Kaffer und Peter Kabel die Werbeagentur „Büro Hamburg“. Später wurde er Herausgeber des Zukunftsmagazins „Übermorgen“ und konzipierte die Zukunftsevents „Talk with Tomorrow“ für Philip Morris. Von 1993 bis 2015 lehrte er als Professor für Kommunikationsdesign an der Folkwang Universität der Künste in Essen. B2B sprach mit ihm über Insights im B2B-Marketing, über Digitalisierungstrends und darüber, wie Entscheider diese Entwicklungen in Erfolge verwandeln können.

Herr Wippermann, Consumer-Insights gehören fest zum Instrumentarium der B2C-Marketers. Welche Beobachtungen machen Sie zum Thema Insights im B2B-Bereich?

MH

In der letzten Zeit hat sich B2B an die vertrieblichen Gepflogenheiten von B2C angeglichen. Unternehmen nutzen Plattformen und vertreiben Produkte über ­E-Commerce.
Das bedeutet, dass diese Unternehmen für die Insightforschung die gleichen Spielregeln ­akzeptieren, wie sie im B2C-Bereich gelten.

PW

Das heißt, Sie sind auch eher auf der Seite derer, die an eine Konsumerisierung des B2B glauben statt an den Homo ­oeconomicus, der streng rational abwägt und entscheidet?

MH

Den Homo oeconomicus hat es noch nie gegeben. Weil es immer Menschen sind, die entscheiden. Je größer und bedeutender die Entscheidungen sind, desto stärker ist die emotionale Kraft des Entscheiders gefragt.

PW

Welche Auswirkungen wird die neue Insightorientierung im B2B Ihrer Meinung nach auf die Kommunikation haben?

MH

Im Prinzip geht es darum, Kontrolle zu erlangen. Das heißt stärker zahlengestützt zu agieren. Hier sind wir im B2B-Bereich noch nicht so weit wie im Consumer-Marketing, aber die Entwicklung hin zu mehr Entscheidungen auf Grundlage von Daten ist definitiv die Perspektive der Zukunft.

PW

Zeichnet sich für Sie glasklar am Horizont DER B2B-Trend für die nächsten Jahre ab?

MH

Ich würde einmal einen etwas kleineren Schritt ­wagen. Die Zweiteilung in B2B und B2C hat sich ja schon verändert durch die digitale Infrastruktur. In Zukunft werden wir mehr über D2C reden, also ­Direct-to-Consumer. D2C hat jetzt schon eine signifikante Bedeutung in bestimmten Märkten und diese Bedeutung wird noch zunehmen.

PW

Welche ganz konkreten Ratschläge würden Sie angesichts dieser Entwicklungen einem Unternehmer oder dem Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens geben?

MH

Zunächst einmal ist es für jeden Entscheider wichtig, zu erkennen, dass IT nicht gleich EDV ist. Was ich ­damit meine? IT ist keine hausinterne Dienstleistung, sondern die Voraussetzung dafür, die Geschäftsmodelle zu verändern. Wenn man diesen Sprung gewagt hat, dann lohnt es sich, nach Unternehmen zu suchen, die in der Entwicklung, in der datengestützten Fertigung und im datengestützten Vertrieb deutlich weiter sind als man selbst. Im Bereich Consumer Goods zeigt zum Beispiel L’Oréal, wie man mit Watson IoT die ­Fertigung datenbasiert und agil steuert.

PW

Schauen wir mal in Ihr Arbeitsgebiet hinein: Wie hat Data Ihr Arbeiten verändert? Wie wirken sich Social Listening und Data Technology auf Ihr Arbeiten aus?

MH

Wir haben sehr früh damit begonnen, die sozialen Plattformen und Blogs als Informationsquelle zu ­nutzen. Wir haben zusammen mit Kantar den Werteindex vor zehn Jahren aufgelegt und begonnen, die Beobachtungen, die man sonst in der realen Welt macht, in der virtuellen Welt zu machen. Wir haben dann fest­gestellt, dass die Erwartung, dass für alles schon Algorithmen existieren, bedauerlicherweise falsch war. Konkret: Die Anzahl der Nennung bestimmter Werte ist wunderbar zu automatisieren. Das heißt, die Quantifizierung der Werte funktioniert sehr gut. ­Spannender wird es bei der Qualifizierung der Werte: Was verstehen die Menschen unter „Nachhaltig­keit“, „Natur“ oder „Familie“? In dieser qualitativen Dimen­sion wurde relativ wenig erforscht, sodass wir hier nur sehr wenig Vorhandenes anwenden konnten.

PW

Macht die Individualisierung des Konsums, die Mass ­Customization, es einfacher oder schwieriger, Trends zu erkennen?

MH

Mit dem mobilen Internet – seit 2007 – haben wir eine technische Antwort auf die Individualisierungs­wünsche. Gesichtserkennung und biometrische Daten ermöglichen es zum Beispiel Neutrogena, einen Gesichts-­Scanner zu entwickeln, der individuelle Gesichts­masken ausdruckbar macht.

PW

Sollte die Kommunikation diesem Trend zur Individualisierung folgen? Oder widerspricht die 1:1-Ansprache von Personae der Idee eines strahlenden Markenbildes?

MH

Es gibt hier eine spannende Entwicklung: Jüngere, also unter 30-jährige Konsumenten, stellen Bedingungen für die Wissensaufnahme. Nur wenn ein konkretes Interesse vorhanden ist, werden Informationen ­akzeptiert. Die Rolle des Empfängers ist somit im ­Wandel – und dieser Wandel ist durch Zahlen belegbar! Dies spiegelt sich natürlich auch in der Medien­nutzung wider.
Bei den unter 20-Jährigen wird laut ARD-Studie nachweisbar mehr Bewegtbild gestreamt als lineares TV konsumiert. Wenn Sie sich das vor ­Augen führen, bekommen Sie ein Gefühl dafür, wie Sie Ihre Informationen neu aufbauen müssen. Die Ver­netzung der Information wird immer wichtiger, und zwar ­genau in dem Moment, in dem das Publikum ein ­Interesse an meinem Angebot hat. Diese Erkenntnis ist zwar auch nicht ganz neu, bekommt nun aber ein noch größeres Gewicht!

PW

Gibt es eigentlich in der Trendforschung auch ein Phänomen der self-fulfilling prophecy? In der Mediaplanung hat zum Beispiel die Annahme, dass besonders gut messbare Kanäle – zum Beispiel SearchAds besonders gut ver­kaufen, dazu geführt, dass diese überproportional gebucht werden auch wenn ein Plakat vielleicht nach wie vor seine Berechtigung hat.

MH

Diese Frage berührt einen interessanten Punkt. Wir haben einerseits die Sehnsucht, alles messen und ­kontrollieren zu können. Insofern sind digitale Medien wie Suchmaschinenwerbung etc. zunächst einmal im Vorteil. Andererseits gibt es Märkte und Zielgruppen, die sich bewusst nicht primär in digitalen Medien bewegen, etwa in Nischen wie dem Luxusmarkt. Aber die positive Botschaft ist ja: Die Kreation verschwindet nicht durch die digitalen Medien. Digitalisierung ist vielmehr eine kaufmännische Überlegung mit dem Ziel, die Effizienz im Marketing zu heben.

PW

Thema Wearables und digitale Assistenten: Wie können uns die helfen, Insights über Konsumenten zu erforschen? Gibt es ähnliche Datenquellen im B2B?

MH

Wenn wir über Wearables reden, sprechen wir ja zum Beispiel von Körperdaten. Diese in Echtzeit über­mittelten ­Körperdaten können natürlich hilfreiche Informa­tionen über unseren Gesundheitszustand transpor­tieren – in den USA sind solche Informationen ja schon gekoppelt mit Notrufsignalen. Wir gehen also mehr und mehr über in eine Welt, in der wir freiwillig in ­einer hoffentlich freundlich gesonnenen digitalen ­Matrix leben. Das heißt: Wir selber sind der Cursor im digitalen Raum. Ob Sie nun die E-Scooter nehmen, die genau sagen, von wo nach wo Sie gefahren sind, oder die Gesundheitsdaten aus Wearables, es geht immer um dasselbe: eine überschaubare zweite Identität des Konsumenten.

PW

Unternehmen wie Amazon oder AliBaba haben die ­besten Insights über Käufer. Gleichzeitig sind sie Händler, ­Marktplatz und Werbemedium. Was sagen Sie zu dieser Konzentration?

MH

Sie haben die Funktion als Logistiker vergessen! Also, erst einmal ist das ein schönes Beispiel dafür, was ­gerade in der Wirtschaft passiert. In der Industrie war es üblich, einzelne Arbeitsschritte unterschiedlichen Unternehmen zuzuordnen. In der Netzökonomie denkt man ganzheitlich. Ob das nun Alibaba ist mit Alipay oder noch besser Amazon mit Ring: Hier ­haben wir es mit einem ganz anderen Selbstverständnis von Angebot einerseits und Käufer andererseits zu tun. Ring verspricht dem Kunden Sicherheit, kontrollierten Zugang zur Wohnung, ermöglicht aber auch gleichzeitig Dogsitting-Dienste, Reinigungsdienst­leistungen und eine Überwachung des Eigentums durch Polizei oder Community.

PW

In den Niederlanden gilt „Niksen“, das bewusste Nichtstun – ohne SmartPhone und andere digital devices – als Trend. Wird Offline der große Gegentrend zum Always-On?

MH

Es gibt immer Trends und Gegentrends, das ist ganz klar. Starbucks gibt jetzt Mitarbeitern kostenlosen ­Zugang zur Meditations-App und bietet Mental-Health-Hilfe an. Der Stress, den die digitale Vernetzung hervorruft, erzeugt ein Bedürfnis nach Digital Detox. Meine Prognose: Das wird ein absoluter Luxusmarkt!

PW

Herr Wippermann, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Interview
Matthias Heft

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